Die Social-Media-Aktivitäten von Polizei und Feuerwehr sind für uns nichts Neues und sind bereits Bestandteil unseres Alltags. Wer übernimmt die Kommunikation bei schweren Unglücken oder Naturereignissen? Antworten auf diese Frage – und was Social Media mit Katatrophenschutz zu tun hat – liefert Jan Müller-Tischer im Interview. 

Ein Hinweis in eigener Sache: Das folgende Interview ist aus meinem Interesse am Thema und meiner Freundschaft zu einer der Macherinnen des Katastrophenschutz Camps entstanden. Ich werde dafür nicht bezahlt und bekomme auch sonst keine Gegenleistung. Es ist also unbezahlte und völlig freiwillige Werbung und meine ganz persönliche Empfehlung. 

 

Über Social Media informieren wir uns, tauschen uns untereinander aus und verbreiten eigene Inhalte. Dabei nutzen wir Blogs, Foren, soziale Netzwerke, Multimediaplattformen wie YouTube oder Wikis. Social Media sind für uns die schnellste Art und Weise, um an Informationen und Nachrichten zu gelangen.

Auch Unternehmen, Organisationen und Behörden nutzen diese Kanäle für ihre Öffentlichtkeitsarbeit. Dazu zählen auch Polizei und Feuerwehr.

Auch in besonderen Notlagen oder großen Katastrophen werden Social Media immer häufiger genutzt, um die Öffentlichkeit zu informieren, Einheiten vor Ort zu koordinieren oder freiwillige Helfer zu rekrutieren.

Mit Jan Müller-Tischer habe ich mich über die Rolle von Social Media im Katastrophenschutz, Best Practices und das anstehende Katastrophenschutz Camp im Jahr 2019 unterhalten.

 


Interview mit Jan Müller-Tischer

Jan Müller-Tischer, Trainer für Kommunikation im Katastrophenschutz

Jan Müller-Tischer ist Trainer und Berater für den Bereich Kommunikation im Katastrophenschutz und Mitglied im VOST Deutschland des THW   im Übungsleitungspool der Landesfeuerwehrschule Schleswig-Holstein, Spezialist für die Fachgebiete S5 und S6. Dort hält er Seminare für Pressesprecher und Mitarbeiter des Bürgertelefones, sowie zum Thema Katastrophenschutz und Soziale Medien.

Hauptberuflich arbeitet er als Social Media- und PR-Manager für die Itzehoer Versicherungen. Davor war er 28 Jahre lang freier Journalist. Ehrenamtlich arbeitete er als Sanitäter und war später Funker im Katastrophenschutz. Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr seines Heimatortes und seit 2002 für das Deutsche Rote Kreuz in der Funktion des S6 im Katastrophenabwehrstab des Kreises Steinburg tätig.

 


 

Jeden Tag hören wir im Radio oder lesen in der Zeitung von Katastrophen – schwere Unglücke oder Naturereignisse mit verheerenden Folgen. Was können Menschen unter Katastrophenschutz verstehen?

Wenn die regulären Rettungsdienste, Feuerwehren und andere Hilfsorganisationen eine Lage nicht mehr beherrschen können, etwa bei einem sehr schweren Unfall oder einem Großfeuer wie derzeit in Kalifornien, wird über die Landkreise und Städte eine größere Organisation aufgebaut.

Dann treten Stäbe als Entscheidungsgremien zusammen und alarmieren zusätzlich ehrenamtliche Katastrophenschutzhelfer.

Derzeit wird Kalifornien von heftigen Waldbränden geplagt. Bisher mussten etwa
75.000 Häuser evakuiert werden. Im Jahr 2017 musste Kalifornien bereits einen
Waldbrand nördlich von LA bekämpfen. Damals gab der verantwortliche Katastropehnschutz Zwangsevakuierungen auch via Twitter durch, um den Großteil der Bevölkerung zu erreichen.

Umgang mit Fake News, Lageerkundung per Social Media – Warum spielt Social Media beim Katastrophenschutz eine wichtige Rolle?

Die Medien haben sich grundlegend gewandelt. Noch vor zwanzig Jahren waren das, informationstechnisch gesehen, Einbahnstraßen. Die Information kam über Zeitung, Radio, Fernsehen zu den Betroffenen einer Krise, aber nicht zurück. Die Social Media haben das grundlegend geändert.

Die Menschen sind es gewohnt, über das Handy, per Chat oder App miteinander zu kommunizieren – mobil und in Echtzeit. Das ist eine große Chance für Warnung und Information der Bevölkerung, aber auch dafür, Lageinformationen für Stäbe und Einsatzleitungen zu gewinnen.

Dazu müssen aber auch unabsichtlich oder absichtlich gestreute Falschinformationen herausgefunden und dementiert werden – etwa, um Panik zu vermeiden.

Die Menschen sind es gewohnt, über das Handy, per Chat oder App miteinander zu kommunizieren – mobil und in Echtzeit. Das ist eine große Chance für Warnung und Information der Bevölkerung

Jan Müller Tischer

Wie lassen sich mit Social Media ungebundene Helfer und Spontanhelfer gewinnen und steuern? Wie wirkt man der Eigendynamik dieser Helfer entgegen?

Spontanhelfer können in einer Krise eine große Unterstützung für die Einsatzkräfte sein – wenn sie ihren Möglichkeiten gemäß und sinnvoll eingesetzt werden. Hier kann der Katastrophenschutz über Social Media wichtige Hinweise geben und den Helfern eine gewisse Struktur anbieten – damit ihre Arbeit nicht sinnlos verpufft oder sie sich gar in Gefahr bringen.

Es geht dabei auf jeden Fall nicht darum, spontane Initiativen zu bremsen – aber ein sinnvoller Einsatz ist ja schließlich auch im Sinne der Helfer.


Welche Rolle spielt Social Media Monitoring für den Katastrophenschutz?

Monitoring ist das wichtigste Werkzeug für den Bevölkerungsschutz. Dabei geht es nicht darum, die Leute zu belauschen, denn wir nutzen nur die Informationen, die die Betroffenen von sich aus bei Twitter oder Facebook posten.

Daraus können die Stäbe gerade bei unübersichtlichen Lagen wichtige Lageinformationen gewinnen, die über das hinausgehen,was Ihre Helfer von einer Einsatzstelle zurückmelden.

Sie können auch sehen, welche Fragen vor Ort gerade auftauchen und dann schnell darauf reagieren, etwa durch weitere Informationen oder die Entsendung weiterer Helfer in ein bestimmtes Gebiet.

Unter Monitoring versteht man die systematische Erfassung, Messung, Beobachtung oder Überwachung eines Vorgangs oder Prozesses mittels technischer Hilfsmittel oder anderer Beobachtungssysteme. Um Schlussfolgerungen ziehen zu können, ist eine wiederholte und regelmäßige Durchführung notwendig.
– Wikipedia

Was gibt es zu beachten, wenn man Social Media Monitoring für den Katastrophenschutz einsetzen will?

Wichtig ist der Umgang mit den Betroffenen auf Augenhöhe und der richtige Ton. Am wichtigsten aber ist es, unbedingt nur gesicherte Informationen herauszugeben – und das schnell.

Damit sich die von einer Katastrophe Betroffenen darauf verlassen können und nicht auf dubiose Quellen ausweichen – und von denen gibt es in den Social Media leider mehr als genug.


Nicht nur Social Media spielen während Katastrophen eine wichtige Rolle. Auch vom Einsatz von Crowdsourcing ist oft die Rede. Wie sinnvoll ist diese Taktik im Katastrophenfall?

Ein gutes Beispiel dafür ist Airbnb. Dort werden die eingetragenen Vermieter bei größeren Lagen gefragt, ob sie ihre Unterkunft für obdachlos gewordene Menschen kostenlos zur Verfügung stellen. Das zeigt das Potential von solchen Initiativen.

Airbnb hat das Projekt „Open Homes“ ins Leben gerufen, um Menschen zu helfen,  die aufgrund von Naturkatastrophen, Konflikten oder Krankheiten ihr Zuhause verlassen
mussten. Hier werden vorübergehende Unterkünfte angeboten.
Mehr Informationen zu „Open Homes“
 
 
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Airbnb Open Homes | Fode & Els | Long version from Dan Atherton on Vimeo.

 


Bottrop gilt als Vorreiter für den Katastrophenschutz – vor allem wegen der neunköpfigen Social Media-Einheit. Sollten sich andere Städte daran ein Beispiel nehmen und auch Social Media Teams aus Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Stadt gründen? Oder geht’s auch ohne Spezial-Team?

Ja, auf jeden Fall. Leider geht es nicht ohne Spezialisten – denn der Umgang mit den Soical Media und mit der Kommunikation im Krisenfall muss gelernt werden.

Abgesehen davon haben die regulären Pressesprecher von Stäben und Einsatzleitungen im Ernstfall keine Zeit dafür – deshalb brauchen sie Mitarbeiter, die sich ausschließlich um die Social Media kümmern.


Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat ein Pdf veröffentlicht, das Rahmenempfehlungen für den Einsatz von Social Media im Bevölkerungsschutz nennt. Ansonsten gibt es nicht viele (deutsche) Quellen für Institutionen, Organisationen und ihre Mitarbeiter, um sich über die Einsatzmöglichkeiten von Social Media Schlau zu machen … Hast du weitere Empfehlungen oder Bücher, die die Leute in diesem Bereich gelesen haben sollten?

Viel gibt es in der Richtung leider tatsächlich noch nicht – aber gerade ist der “Tagungsband LÜKEX 2018 zum 3. Thementag: Risiko- und Krisenkommunikation” herausgekommen. Er enthält sehr viele interessante Artikel zum Thema.

Man kann ihn auch kostenlos beim BBK bestellen. Ansonsten  bin ich jetzt mal ganz unbescheiden und empfehle mein eigenes Buch 😉 Es heißt “Social Media im Einsatz” und ist bei Amazon erhältlich.

LÜKEX steht für den Begriff „Länderübergreifende Krisenmanagementübung / Exercise“. Hierbei handelt es sich um ein Übungsprogramm. Bund und Länder überprüfen mit dem Programm in regelmäßigen Abständen, ob alle relevanten Institutionen ausreichend auf eine nationale Krise vorbereitet sind. Ziel ist es dabei, bestmögliche Vorsorgemaßnahmen für den Bevölkerungsschutz zu treffen.


Auf Twitter kommunizieren vor allem die Polizei aus Städten und Bundesländern. Gibt es auch andere Twitter-Profile von anderen Einrichtungen, die man als Best Practice bezeichnen könnten? Wenn ja, was macht diese Profile aus?

Viele Berufsfeuerwehren haben ähnliche Twitter-Profile, die sie ebenso aktiv nutzen. Ein positives Beispiel ist die Feuerwehr Frankfurt, die vor einigen Tagen bei einem Chemieunfall im Industriepark Griesheim sehr gute Arbeit gemacht hat.

Viele kleinere Gemeinden sind noch nicht so weit. Es gibt aber auch hier positive Beispiele –  wie die Samtgemeinde Sögel, die während des Moorbrandes sehr gut über Facebook informiert hat.

Unterstützung bekommen Stäbe, Hilfsorganisationen und Leitstellen im Ernstfall  übrigens von den neu gegründeten Virtual Operations Support Teams. Das deutsche VOST ist eine neue THW-Einheit, die jederzeit im Rahmen der Amtshilfe angefordert werden kann. Ich bin dort Mitglied. Auch das Innenministerium Baden-Württemberg hat gerade ein solches VOST ins Leben gerufen.

Diese Experten können schnell ein professionelles Monitoring aufbauen, sich aber auf Anforderung auch um die Verifikation von Nachrichten oder die Kommunikation mit Spontanhelfern kümmern. Dazu entsenden Sie einen Verbinder in den jeweiligen Stab, damit die Kommunikation intern auch richtig läuft.

Twitter

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Zusammenfassung von Jan Müller-Tischer zum Gefahrgutunfall in Frankfurt.


An wen richtet sich das Katastrophenschutz Camp im Februar 2019? Warum braucht eure Zielgruppe ein eigenes Barcamp? Und was ist ein Barcamp überhaupt?

Ein Barcamp ist eine Veranstaltung mit offenen Workshops, deren Inhalte und Ablauf die Teilnehmer zu Beginn der Tagung selbst vorschlagen und festlegen. Dadurch entwickelt sich ein buntes Programm, das dem Austausch dient.

Uns geht es dabei darum, Vertretern von Stäben, Verwaltungen und Hilfsorganisationen eine Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen – so was gibt es in diesem speziellen Bereich nämlich noch nicht.

Wie groß das Interesse an diesen Themen ist, kann man daran erkennen, dass das Camp innerhalb von wenigen Tagen ausverkauft war.

Uns geht es dabei darum, Vertretern von Stäben, Verwaltungen und Hilfsorganisationen eine Möglichkeit zu geben, sich auszutauschen – so was gibt es in diesem speziellen Bereich nämlich noch nicht.

Jan Müller-Tischer

Über das Katastrophenschutz Camp

Für den Katastrophenschutz wird das Thema Social Media immer wichtiger. Denn diese bieten Behörden und Hilfsorganisationen die Möglichkeit, BürgerInnen zu informieren und mit ihnen in einen Dialog zu treten. 

Das Katastrophenschutz Camp setzt sich mit Fragestellungen wie Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Behörden, Warnung der Bevölkerung, Umgang mit Fake News oder Lageerkundung per Social Media auseinander. Aktuell sind alle Karten ausverkauft. 

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